über die Grenze

Zwischen Nationalinteressen und Weltrevolution. Die Erfindung der sowjetisch-afghanischen Freundschaft im sowjetischen Spielfilm „Mission in Kabul“. Teil I

Posted on: Januar 9, 2010

-Und der tote Iwan wird in der afghanischen Erde verrotten im Namen der hohen diplomatischen Kunst?
-Nein, im Namen des hohen Ziels!

Aus dem sowjetischen Spielfilm „Mission in Kabul“

Können russische bzw. sowjetische Filme über den Krieg in Afghanistan helfen, die heutigen Geschehnisse in diesem Land besser zu verstehen? Durchaus möglich. Vorausgesetzt, man findet einen adäquaten Bezug zu der Art des Kinofilms historische Ereignisse zu zeigen.

Der russische Filmregisseur Andrej Tarkowskij meinte zum Beispiel, dass das Wesen des Kinofilms das einer versiegelten Zeit sei. Der Film hält das Sein in der Zeit fest. Die Zeit kann mit Hilfe des Films aufbewahrt und angeschaut werden. Man könnte aber breiter fassen und behaupten, dass in einem Film auch der Zeitgeist mitgefangen und für die Zukunft aufbewahrt wird. Entsiegelt kann er in der Gegenwart gesehen werden. Er zeigt uns eine durch den Film fixierte Vergangenheit. Der Film wird zu einem Fenster einer Art Zeitmaschine.
Das Anschauen der verfilmten Vergangenheit wird aber oft durch eine Selbsttäuschung behindert. Denn wir neigen gegenüber den vergangenen Zeiten häufig dazu, ein Gefühl der Überlegenheit zu kultivieren. Wir glauben mehr zu wissen, verglichen mit dem Wissen von denjenigen, die zum Beispiel vor vierzig Jahren den Film „Mission in Kabul“ gemacht haben. Wir kennen die Zukunft, zwar nicht unsere, aber von denen, die wir auf dem Bild sehen. Wenn wir die Stadt Kabul des Jahres 1970 sehen, dann glauben wir zu wissen was mit dieser Stadt 1979, oder 1989, oder 2009 passieren wird.


Wenn aber der Zeitgeist, der 1970 als Film versiegelt wurde, sich heute auf einer Leinwand bzw. Bildschirm zeigt, dann können wir in einigen Fällen erstaunliche Dinge hören und sehen. Unsere eingebildete Überlegenheit gegenüber dem Wissenstand der Vergangenheit bricht zusammen. Wir werden mit der Fähigkeit der Kunst konfrontiert, die Zukunft zu sehen. Der sowjetische Film „Mission in Kabul“ ist ein Beispiel für diese Fähigkeit der Kunst. Er erzählt uns eine Geschichte, die heute unsere Gegenwart und Zukunft ist. Wir sehen in diesem sowjetischen Film den britisch-russischen Kampf um Afghanistan. Eigentlich nur eine Episode dieses Kampfes, den man das Große Spiel nennt. Rudyard Kipling, selbst ein großer Spieler, sah das Ewige dieses Spiels: „When everyone is dead the Great Game is finished.“ Und tatsächlich kämpfen heute nicht die Briten wieder in Afghanistan, wie vor hundert Jahren? Steht nicht die russische 201. Motorschützen Division heute an der afghanisch-tadschikischen Grenze einsatzbereit an der Stelle, wo die Kosaken des Zarenreiches schon standen? Das Große Spiel ist keineswegs vorbei. Es geht weiter und neue Spieler betreten das Spielfeld. Ein Minister in Deutschland sagte – „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“


Die Geschichte des Großen Spiels beginnt mit der britischen Kolonisierung von Indien. Es war „das wertvollste Schmuckstück der britischen Krone“. Und Schmuckstücke müssen vor Räubern gesichert werden. Da der Zugang zu Indien über den Seeweg durch die Macht der britischen Marine fest verschlossen war, richtete man die ganze Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit einer Indien-Invasion über den Landweg. Schnell wurde der Räuber und sein Weg nach Indien von den Köpfen der britischen Strategie erkannt. Es sollten die Russen sein. Und ihre Armee sollte über Afghanistan nach Indien kommen. 1839, als sich die Russen noch tausend Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt befanden, bereiteten die Briten ihre Verteidigung vor. Häufig verteidigen sich die Briten indem sie ein fremdes Land angreifen. Der britische Politiker und außenpolitische Stratege Palmerston erklärte dem britischen Botschafter in Russland die Logik des Einsatzes: „Lange Zeit haben wir uns geweigert, uns in die afghanischen Angelegenheiten einzumischen. Wenn aber die Russen nun versuchen, Afghanen zu Russen zu machen, müssen wir uns darum kümmern, dass sie Briten werden.“ Es kam zum ersten britische Einmarsch in Afghanistan. Lebend und aus eigener Kraft kam nur ein einziger Brite raus. Das unbeugsame Land Afghanistan ist zu einem unüberwindbaren Hindernis für das britische Vorhaben, die Russen so fern wie nur möglich vor der Grenze Indiens halten zu können, geworden. Die beiden Imperien näherten sich langsam und unaufhaltsam jahrzehntelang einander. Die Briten versuchten in Afghanistan Einfluss zu gewinnen und es zu einem Schutzschild bzw. Sprungbrett ins Mittelasien umzuformatieren. Die Russen eroberten schrittweise die Länder Mittelasiens und dehnten dann letztendlich ihren Herrschaftsbereich bis an die Grenze von Afghanistan aus. Doch der große kriegerische Aufprall zwischen den beiden Großreichen an der afghanischen Grenze blieb aus. 1907, im Vorfeld des Ersten Weltkrieges sahen sich die beiden Rivalen gezwungen, das Große Spiel anzuhalten. Die Russen versprachen, dass Afghanistan in der britischen Einflusssphäre unangetastet bleiben wird und dass die diplomatischen Beziehungen zu Kabul nur über London unterhalten werden. Im Gegenzug stimmten die Briten zu, dass von Afghanistan aus keine Angriffe auf das russische Mittelasien gestartet oder unterstützt werden.

Zehn Jahre später machte die Oktoberrevolution diese Vereinbarung zu Makulatur. 1919 entsandten die russischen Bolschewiki eine Mission nach Kabul. Sie machten einen Schritt, von dem die Zaren träumten. So haben sich aber auch die britischen Albträume, dass eines Tages Russen nach Kabul kommen werden, verwirklicht. Diese Geschichte erzählt uns der sowjetische Film „Mission in Kabul“.

Der Film beginnt mit der Präsentation von Kabul des Jahres 1969. Wir sehen eine moderne Stadt – breite Straßen, neue Autos und moderne Bauten. Kabul ist die „Hauptstadt des freien und unabhängigen Afghanistans“ – verkündet stolz die Stimme des Erzählers. Im Jahr 1969 feierte man den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit. Eine Militärparade findet statt. Gäste aus aller Welt sitzen auf Tribünen und sehen die afghanische Armee. Die Schlagkraft dieser Armee wird durch die rollenden T-55 Panzer symbolisiert. Es sind Originalaufnahmen, die als eine Chronik gezeigt werden.

Dann gibt es einen Zeitsprung und einen Übergang von Originalaufnahmen zu einer gespielten Darstellung. Jetzt ist es das Jahr 1919. Wir sehen den Befreiungskrieg der Afghanen. Der Erzähler erklärt uns den historischen Hintergrund: „Afghanistan war der erste Staat der Welt, welcher das neue Sowjetrussland anerkannt hat. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Afghanistan wurden zu einer realen Bedrohung für den traditionellen Einfluss der Briten in dieser Region.“ Unter dem Kommando von Nadir Schah greifen die Afghanen britische Stellungen ein. Der afghanische Triumph gipfelt in einer Siegesparade. Anschließend wird die afghanische Staatsfahne durch Amanullah Khan und Nadir Schach feierlich gehisst. Wir sehen die Geburt der afghanischen Nation.


Nun kommt die eigentliche Geschichte des Films. Zuerst aber fordert der Erzähler die Zuschauer auf, nicht nach den Namen der gezeigten Helden in den Geschichtsbüchern zu suchen. „Doch alles was wir Ihnen erzählen, basiert auf den Dokumenten aus den Archiven der Sowjetunion.“ Mit diesem wichtigen Hinweis wird die Erzählstruktur des Films festgelegt. Der Film soll als ein dokumentarischer Geschichtsfilm wahrgenommen werden. Es werden Telegramme, Berichte oder Briefauszüge vorgelesen. Dem Film wird damit die Autorität durch Fakten verliehen. Der Zuschauer muss glauben, dass das, was man auf der Leinwand sieht, historische Wirklichkeit ist und nur deshalb nachgestellt werden musste, weil man damals keine Aufnahmen gemacht hat.

Der Sieg der Afghanen bereitet den Weg zur Eröffnung von diplomatischen Beziehungen zwischen Moskau und Kabul. Nach der Einladung Amanullah Khans liest der Erzähler die Antwort von Lenin vor: „ Die Errichtung von ständigen diplomatischen Beziehungen zwischen zwei großen Völkern gibt uns die breite Möglichkeit der gegenseitigen Hilfe gegen alle Versuche internationaler Raubtiere, die Freiheit anderer zu nehmen.“ Während diese Mitteilung Lenins vorgelesen wird, sieht man eine Reitergruppe, die sich mühevoll aber stolz im Gebirge bewegt. Der Matrose mit einer roten Fahne in der Vorhut macht deutlich, dass es die sowjetische Mission ist. Als die Gruppe an einem Rastplatz für eine Übernachtung anhält, hören wir die Stimme des Erzählers wieder. Eine Mitteilung des Leiters der Abteilung „Ost“ der britischen Spionagezentrale in London an den Residenten in Kabul wird vorgelesen. Der Resident des britischen Nachrichtendienstes in Kabul, Major Stawenow, wird informiert, dass die sowjetische Delegation die afghanische Grenze überquerte. Die wichtigsten Delegationsmitglieder werden detailliert beschrieben. Der britische Geheimdienst ist mit Hilfe seiner Agenten in Taschkent gut informiert. Im Mittelpunkt der britischen Aufmerksamkeit steht der Sonderbevollmächtigte Petr Sorokin. Er wird als ein erfahrener Bolschewik beschrieben. Sorokin genieße Lenins Vertrauen, so der Text. Vor der Abreise nach Kabul gab es ein Vieraugengespräch zwischen den beiden. Die Zentrale in London geht davon aus, dass Sorokin den Auftrag hat, das Vertrauen der afghanischen Führung zu gewinnen und Briten aus der Region zu verdrängen.

Doch auch der sowjetische Geheimdienst Tscheka schläft nicht. Der Tscheka-Agent in Kabul – „der Wanderer“, wird informiert, dass in Afghanistan eine „Spionagefront gebildet wird“. Die Aufgabe aller Agenten in der Region lautet: „ die Pläne des Gegners zu erfahren, bevor diese realisiert werden.“ Die Sicherheit der sowjetischen Mission in Kabul ist nun die wichtigste Aufgabe der Tscheka-Agenten.


Während die sowjetische Delegation in Kabul ankommt und über der Botschaft die Rote Fahne von den Matrosen gehisst wird, bereitet der Resident des britischen Geheimdienstes in Kabul eine Verschwörung gegen den afghanischen Emir Amanullah Khan vor. Er benutzt dafür seine Agenten in Kabul – einen Ex-Hauptmann der russischen Armee Gedeonow und einen deutschen Agenten, den „Russland-Experten“, Gerhard Epp. Epp soll eine Ermordung von Amanullah Khan organisieren. Der Attentäter soll ein Russe sein. Auf diese Weise wollen die Verschwörer zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen – den verhassten Amanullah Khan töten und einen Konflikt zwischen den Sowjetrussen und Afghanen provozieren. Gedeonow schlägt einen Attentäter vor. Dieser soll ein Ex-Offizier der russischen Armee sein, Roman Luschin, der mit seiner Frau vor der Tscheka aus Taschkent nach Kabul geflohen ist. Gedeonow übernimmt das Anwerben von Luschin. Er vermittelt dem mittellosen Russen eine Juristenstelle in der Firma von Gerhard Epp, die eigentlich ein Stützpunkt des deutschen Geheimdienstes in Kabul ist. Seine Frau Marina stellt er der Frau des britischen Botschafters, die auch russischer Herkunft ist, vor. Marina ist eine Näherin und will westliche Kleider für die Damenwelt in Kabul anfertigen.

Bei seiner Ankunft in Kabul gelingt es dem sowjetischen Botschafter, ein vertrauensvolles Verhältnis zu dem afghanischen Kriegshelden Nadir Schah aufzubauen. Ein Zeichen und die Bestätigung der sowjetisch-afghanischen Freundschaft soll eine Waffenlieferung der Sowjets sein. Um dieses Verhältnis zu zerstören, organisiert der Major Stawenow einen Angriff der Basmatschi auf die sowjetischen Diplomaten. Ein sowjetisches Flugzeug wird über Afghanistan abgeschossen . Der Pilot und ein Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft werden gefangen genommen und von den Basmatschi grausam getötet. Dem Kurier Skazotschkin gelingt es zu entkommen. Sorokin wird von Moskau angewiesen, den Vorfall zu verschweigen, damit die Beziehungen mit den Afghanen nicht belastet werden. Innerhalb der Botschaft kommt es wegen der Ermordung der Diplomaten zu einem Streit. Als Sorokin von einem der Mitarbeiter aufgefordert wird, sein Schweigen zu brechen, muss er seine Autorität durchsetzen: „Du bist ein Soldat! Wenn ich im Krieg mit jedem Soldat meine Geheimnisse und Pläne diskutiert hätte, hätten wir kein einziges Gefecht gewonnen.“

Auch auf der britischen Seite kommt es zu einem Streit über den Umgang mit den Russen. Der Botschafter Fletscher will die Sowjetrussen mit den Mitteln der Diplomatie schlagen. Major Stawenow beschreibt dagegen in seiner Mitteilung an die Zentrale in London den Botschafter als einen „naiven Menschen“. Sein Anschlagsplan gegen den afghanischen Emir wird in London genehmigt. Amanullah Khan müsse während der königlichen Jagd getötet werden.

Während Marina das Vertrauen der britischen Botschafterin gewinnt, bekommt der sowjetische Geheimdienst erste Informationen, dass ein Anschlag auf den afghanischen Emir vorbereitet wird. Der Agent „Wanderer“ informiert den sowjetischen Botschafter und kann den vorgesehenen Attentäter Luschin entführen. Stawenow gibt Gerhard Epp den Befehl selbst Schütze zu sein. Unmittelbar vor dem Attentat gelingt es Sorokin Amanullah Khan zu warnen. Anstelle des Emirs wird einer der afghanischen Verschwörer ins Auto gesetzt und von Epp erschossen, der ihn mit dem Emir verwechselt. Bei der Flucht wird der Deutsche von einem afghanischen Agenten der Briten liquidiert.


Nach dem Anschlag provoziert Gedeonow einen Streit mit Roman Luschin und tötet ihn bei einem Duell. Es wird Gedeonow wird klar, dass Marina eine Agentin der Tscheka ist. Er erzählt ihr, dass die Briten Fanatiker für eine Erstürmung der sowjetischen Botschaft gekauft haben, um sie zu prüfen. Marina beeilt sich, den Botschafter zu warnen und zeigt damit, dass sie eine Tschekistin ist. Sie wird von Gedeonow ermordet.

Die Rettung des Emirs zeigt den Afghanen, dass die Sowjetrussen wirkliche Freunde sind. Ein sowjetisch-afghanischer Freundschaftsvertrag wird unterzeichnet. Der Erzähler liest einen Auszug aus der Rede von Amanullah Khan vor. In dieser Rede wird der neue Freundschaftsvertrag als ein Baustein der afghanischen Unabhängigkeit gesehen. Am Ende des Films übergibt Sorokin feierlich Nadir Schah drei Kampfflugzeuge als ein Geschenk des sowjetischen Russlands. Die letzten Bilder zeigen wieder das Jahr 1969. Man sieht den riesigen Botschaftskomplex der UdSSR in Kabul. Die Rote Fahne der Sowjetunion weht über Kabul.

Wie bewertet man heute einen solchen Film? Die einfachstee Möglichkeit bietet die oberflächliche Betrachtung. Heute, im Jahr 2010, vierzig Jahre nach der ersten Vorführung von „Mission in Kabul“ wissen wir im Vergleich zu den Zuschauern von damals mehr. Der sowjetische Krieg in Afghanistan 1979-1989, der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft, die Öffnung historischer Archive – das alles erlaubt uns ,ein vernichtendes Urteil über diesen Film zu machen. „Mission in Kabul“ kann als eine plumpe sowjetische Propaganda abgestempelt werden.

Wie funktioniert diese Propaganda in dem Film? Die Kernaussage des Films lautet: das neue sowjetische Russland betritt das diplomatische Neuland, um dem afghanischen Volk zu helfen, die Freiheit zu verteidigen. In dem Gespräch mit Nadir Schah berichtet Sorokin über die schlimme Lage in Russland. Er verspricht aber dem Afghanen Waffen aus Russland. Es ist unmissverständlich ein Akt der Aufopferung für die afghanische Nation.


Der Auftritt der Bolschewiki ist ein Auftritt von Helden in einem Epos: Die Diplomaten sind Kämpfer, die für ein höheres Ziels in den Tod gehen. Botschafter Sorokin warnt den Emir vor einem Attentat trotz Lebensgefahr. Die Verbindung der Botschaft mit der Heimat istgefährlich. Sie verläuft über die Gebiete der Basmatschi. Heldentaten vollbringen auch die Tchekisten in Kabul. Sie erfahren feindliche Pläne und können diese rechtzeitig vereiteln. Marina opfert bewusst ihr Leben, um die sowjetische Botschaft vor einem drohenden Angriff zu warnen.

Typisch für die Propagandamuster der Sowjetzeit werden die anderen Figuren dargestellt. Roman Luschin ist eine Gestalt des historisch gescheiterten zaristischen Russlands. Mit dem Verlassen von Russland verliert sein Leben seinen Sinn. Bald zu sterben ist sein Schicksal. Gefährlich ist dagegen ein anderer Russe – Gedeonow. Er ist ein erfahrener Geheimagent und kämpft für die Befreiung Russlands von Kommunisten. Dafür ist er bereitet, mit Briten und Deutschen zusammenzuarbeiten. Allerdings ist Hass sein eigentlicher Beweggrund. „Diese Typen wollen ein Blutbad“ – urteilt der Militärattaché der sowjetischen Botschaft über Gedeonow.

Zwei Gesichter haben die Briten in Kabul. Auf der einen Seite ist es der feine Gentleman, Botschafter Fletscher und auf der anderen Seite Major Stawenow. Fletscher repräsentiert die hübsche glanzvolle Seite der britischen Macht. Major Stawenow ist dagegen die dunkle Seite der realen britischen Politik. Er hat keine Hemmungen vor Mord und Terror. Die mörderische Drecksarbeit erledigen für ihn seine Agenten – Russen, Deutsche, Afghanen.

+++

Der Film „Mission in Kabul“ kam 1970 in die sowjetischen Kinos. Außenpolitisch ist es eine Wendezeit. Der Kalte Krieg in Europa wird entschärft. Die neue deutsche Ostpolitik bereitet dafür den Boden. Zwei Jahre später wird der amerikanische Präsident Nixon nach Moskau kommen, um die Grundzüge einer neuen europäischen Ordnung auszuhandeln. Das Resultat dieser Annäherung wird die Helsinki-Akte von 1975 sein. Das Prinzip der „Nichteinmischung“ in die inneren Angelegenheiten wird akzeptiert. Westdeutschland erkennt die Souveränität der DDR an. Es ist der historische Kontext der Zeit, in der dieser Film gemacht und gezeigt wird.

Der Zeitgeist dieser kommenden außenpolitischen Wende wird in dem Film festgehalten und ausgesprochen. Das wird in einer Szene des Films sichtbar. Nach der Ermordung von sowjetischen Diplomaten findet ein Streitgespräch zwischen dem Botschafter Sorokin und dem ersten Sekretär statt. Der Sekretär Jan Kalnin ist Lette, ein Hinweis auf eine orthodoxe kommunistische Herkunft im russischen Kontext. Er protestiert gegen die diplomatischen Spielchen, die Sorokin führen muss:

„Wir spielen hier Spielchen. Wir gehen auf Empfänge. Wir lächeln dem Feind zu. Genug Liberalismus! Genug Diplomatie! Das Blut eines Kommunisten ist wertvoller als alles andere!“

Diese Forderung könnte ein Ausdruck des Denkens eines konservativen Teils der kommunistischen Partei sein, die den Sinn des Gespräches mit dem Westen nicht verstehen will. Dagegen verweist Sorokin auf das Sicherheitsrisiko für den sowjetischen Staat:

„Was das Blut eines Kommunisten wert ist, weiß ich nicht weniger als du. Doch wenn von hier aus die Banden zu uns einsickern und hier Waffen bekommen und eine sichere Unterkunft haben, und wenn wir zulassen, dass die Engländer an unserer Grenze stehen , dann wird es noch mehr Blutvergießen geben.“

Mit Hilfe der Analogie sollte der Zuschauer in der Geschichte über die erste Mission in Afghanistan auf die reale Lage in Europa der 70er Jahre aufmerksam gemacht werden. Außenpolitische Probleme werden durch ihre Integration in eine Geschichte aus einer anderen Zeit vermittelt und verdeutlicht. Sorokin spricht die Sprache der 70er, wenn er dem afghanischen Kriegshelden Nadir Schah sagt, dass der Unterschied der Regierungssysteme die Verständigung zwischen zwei Staaten nicht behindern könne. Das ist eigentlich die Haltung der UdSSR vor den Verhandlungen mit dem Westen in den 70er Jahren, aber auch gegenüber dem eigenen Lager. Man verzichte auf die Weltrevolution, um das Blut von Kommunisten in osteuropäischen Staaten zu schonen. Die filmische Darstellung der sowjetischen Afghanistan Politik 1919 wird benutzt, um das Sicherheitsproblem der Ostblockstaaten und die Lösung dem sowjetischen Publikum zu erklären.

Wir können also heute den propagandistischen Charakter dieses Films nicht übersehen, weil wir über einen anderen historischen Horizont verfügen. Allerdings werden wir auch bei einer oberflächlichen Betrachtung des Films mit propagandistischen Ungereimtheiten konfrontiert. Man sieht andere Dinge unter der Oberfläche.


Die friedliche Argumentation in der Sprache der sowjetischen Außenpolitik mag den Zuschauern von 1970 verständlich gewesen sein. Aber auf der anderen Seite hatte der sowjetische Durchschnittsbürger damals wenig Ahnung und Wissen über Afghanistan. Ähnlich wie die meisten Deutschen, die nach der Erklärung des Verteidigungsministers auf einer Weltkarte den Hindukusch suchten und seinen Bezug auf die deutsche Sicherheit zu erraten versuchten, so mussten wohl die sowjetischen Zuschauer sich gefragt haben, was die Bolschewiki 1919 in Kabul wirklich gemacht haben. Jeder Zuschauer im Kinosaal hatte während des Geschichtsunterrichts in einer sowjetischen Schule mitbekommen, dass 1919 das schwierigste Jahr für die Bolschewiki im Bürgerkrieg war. Sie standen am Rande einer Katastrophe. Warum dann die Lieferungen von Waffen und sogar von Kampfflugzeugen nach Afghanistan in der Stunde der schlimmsten Not? Sollte man tatsächlich glauben, dass man aus Sympathien für die Afghanen, völlig selbstlos gehandelt hat, wie uns der Film zu sagen versucht? Ist es denn wirklich überzeugend? Ist es ein propagandistischer Kunstfehler der Filmemacher?

Es bleibt eigentlich nichts anderes übrig als diese verfilmte Geschichte, welche sogar einen Anspruch hat, historische Dokumentation zu sein, mit den historischen Fakten der Geschichte zu vergleichen. Was haben die Bolschewiki 1919 in Kabul gemacht?

Fortsetzung folgt

Hinterlasse einen Kommentar


  • Keine
  • peacock: Der Film ist ist wenigstens nicht so blöde wie Rammbock 1,2,3,4, viele. Wer genaue Geschichtsdarstellung sucht, ist bei einem Spielfilm immer falsch.
  • gregorhecker: Es gibt eine Behauptung, dass das Bild nicht 1942, sondern etwa 1939 während einer Übung gemacht wurde. Das wird in der russischen Wikipedia erwähn
  • Horst Heuer: Wie ist die Behauptung gemeint,das es sich bei dem Bild " Kombat " von Max Alpers um eine Fälschung handeln kann? Ich habe Erkenntnisse, das es sich

Kategorien