über die Grenze

Sieger oder Befreier? Der Krieg in Afghanistan aus Sicht der sowjetischen Armee – Der russische Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“.

Posted on: Oktober 29, 2009

Die sowjetische Armee führte in Afghanistan 1979-1989 ihren letzten Krieg und konnte ihn nicht gewinnen. Der afghanische Krieg hatte ihr Schicksal besiegelt. Eine der wichtigsten Institutionen des sowjetischen Staates, die Verkörperung der sowjetischen Supermacht schlechthin, ist durch diesen Einsatz ohnmächtig geworden. Zwei Jahre nachdem sie Afghanistan verlassen hat, brach die UdSSR auseinander. Die Rote Armee ist Geschichte geworden.

Wieso hatte der Afghanistan-Krieg eine derart vernichtende Wirkung auf die sowjetische Armee? Antworten auf diese Frage können verschieden sein, weil es verschiedene Standpunkte gibt. In dem Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“ (Dwa schaga do tischiny) aus dem Jahr 1991 sieht man einen Versuch, eine Antwort auf diese Frage aus Sicht der Armee zu geben.

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„Zwei Schritte von der Stille entfernt“ erzählt die Geschichte eines sowjetischen Infanterieregiments drei Tage vor dem offiziellen Ende des Krieges. Das Regiment bekommt die Aufgabe, den Truppenabzug vor den Angriffen der Aufständischen zu sichern. Die Gruppe von Leutnant Kniasev hat den Befehl, eine vermutete Feuerstellung des Gegners zu finden. Er bekommt zwei Offiziere der afghanischen Armee als Helfer. Während seines Einsatzes müssen der junge Leutnant und seine Männer der Kompanie des Majors Tolmatschew helfen und einen Angriff der Modschahedins zurück schlagen. Nach mehreren kleinen Gefechten in den Bergen schlägt sich seine Gruppe ins Zielgebiet durch. Als er schließlich die Feuerstellung des Gegners findet, wird er durch den begleitenden afghanischen Offizier verraten. Die Gruppe verliert den Überraschungsmoment und verwickelt sich in ein Feuergefecht. Sie kann sich nicht rechtzeitig per Funk melden. Das Gebiet in dem sie sich befindet, wird von der eigenen Luftwaffe bombardiert. Man sieht den Leutnant Kniasev am Ende des Films in einem Stadtpark einsam auf einer Parkbank sitzen. Sein Gesicht ist entstellt. Er ist möglicherweise taub geworden. Plötzlich sieht er im Park drei gefallene Soldaten aus seiner Gruppe in der Parkallee fröhlich und lachend spazieren gehen.
Der Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“ ist ein ungewöhnlicher Kriegsfilm und hat wenig Ähnlichkeit mit den Produkten der Traumfabrik Hollywood. Es fällt deutlich auf, dass der Regisseur Jurij Tupitzkij große Mühe hatte, die Geschichte fließend darzustellen. Der Zusammenhang verschiedener Szenen, ihr Ablauf ist an manchen Stellen schwer nachzuvollziehen. Die Erzählstruktur wirkt dadurch instabil, so dass der Zuschauer eher mit einer Sammlung von Mosaiksteinen zu tun hat, die er dann eigenständig zu einem Ganzen zusammenlegen muss. Man bekommt den Eindruck, dass die Filmemacher es nicht geschafft haben, ihre Aufgaben technisch sauber zu lösen. Auch die Bildqualität ist grauenvoll. Dafür ist die schlechte Qualität des Filmbandes verantwortlich. Bei den Abbildungen handelt es sich sogar um eine Fernsehaufzeichnung in VHS-Qualität. Die Farben wirken verblasst, Figuren sehen unscharf aus. Allerdings muss man hier die Entstehungszeit dieses Films bedenken. Es ist das Jahr 1991. Mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Staates stirbt auch die Filmindustrie. Man sieht in diesem Film, dass er unter katastrophalen technischen und finanziellen Umständen fertiggestellt wurde.

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Und doch hat man hier mit einem jener Fälle zu tun, bei dem aufgrund einer Notlage ein kleines Kunstwerk geschaffen wurde. Das „schlechte“ Bild wird zu einer Metapher der Erinnerung an den sowjetischen Afghanistan-Krieg. Die Bilder unserer Vergangenheit werden mit der Zeit trüb. In einen der Filmszenen sieht man einen erschöpften Offizier liegen. Bei diesem Bild entsteht der Eindruck als ob sich diese Figur im afghanischen Fels aufzulösen beginnt. Es ist möglicherweise ein Phänomen der Kunst, dass bestimmte Kunstwerke ein von ihren Machern unabhängiges Leben führen können.

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Sein eigentliches starkes Gewicht bekommt dieser Film durch seine Aussagen. Der Zuschauer lernt hier die Wiedergabe der wichtigsten Elemente des Afghanistan-Diskurses der sowjetischen Armee kennen. Dieser findet auf mehreren Ebenen statt und wird in den Gesprächen zwischen den Offizieren und Soldaten, aber auch durch die Darstellungen von Handlungen, in denen Vorstellungen in allegorischer Form zusammengehalten werden, vermittelt.

Zu Beginn des Films sieht man die letzte Einsatzbesprechung beim Regimentsstab in Afghanistan. Zuerst läuft eine Radioübertragung. Während die Offiziere den Raum betreten, hört man die Radiostimme sagen:

„Man kann mit Sicherheit sagen, dass das ein Sieg ist. Ein Sieg der Vernunft und des neuen Denkens von Millionen von Menschen. Der 15. Februar – dieser Tag wird in Erinnerung bleiben…“

Der Oberst schaltet das Radio aus und sagt: – „Nun Leute, wir haben genug gekämpft. Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Soll diese Pflicht samt ihrer Mutter zum Teufel gehen. Eigentlich muss man sich darüber freuen.“ Einer der Offiziere bemerkt dazu: „Eine Freude mit Bitterkeit, Genosse Oberst.“ Daraufhin antwortet der Oberst: „Macht nichts, wir werden es so schlucken können, denn wir haben neun Jahre lang bitter geschluckt.“ Dann wird die Aufgabe gestellt. Als der Hauptmann Iwaschenko vorschlägt, den Einsatz zu verschieben, wird dieses von dem Oberst kategorisch abgelehnt: „Es ist seltsam Genosse Hauptmann, scheinbar wollen Sie dieses Land nicht so schnell wie möglich verlassen.“ Worauf der Hauptmann antwortet: „Ich habe dieses Land überhaupt nicht angefasst.“

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In dieser Szene wird wenig gesagt und doch alles Wesentliche. Man hört zum Beispiel die Erwähnung von „Sieg“ in einer relativierten Variante. Es ist kein Sieg im militärischen Sinne, sondern, dass man das nicht missversteht, ein „Sieg der Vernunft“. Über das verkündete Ende des Krieges scheinen sich die Offiziere nicht allzu sehr zu freuen. Es wird als bitter empfunden. Der Oberst bezeichnet den Einsatz als „Pflicht“, lehnt aber selber diese Vorstellung schimpfend ab, als ob es eine Zumutung wäre. Und dann sagt noch der Hauptmann Iwaschenko, dass er Afghanistan nicht „angefasst hat“.

Um diese Szene und ihre Aussagen verstehen zu können, muss der historisch-kulturelle Kontext der damaligen Zeit sichtbar gemacht werden.

Der Begriff „Sieg“ hat in der russischen Kultur eine beinahe sakrale Bedeutung. In Russland denkt man in diesem Zusammenhang an den Sieg der Sowjetunion gegen „das faschistische Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg von 1941 bis 1945“. Jeder Anspruch auf diesen Begriff, gerade wenn es um den Krieg geht, wird an den Leistungen der Vorväter gemessen. Es gehörte zum Kern der moralischen Selbstauffassung der sowjetischen Armee, ihrem Kampfgeist. Aus diesem Grund war es in der Vorstellung vieler geradezu selbstverständlich, dass die Streitkräfte in Afghanistan ihre Aufgaben schnell erledigen würden. Was sind schon Afghanen, im Vergleich zu den Deutschen?

Die Frage nach dem „Sieg“ wird in dem Film von einem Soldat an seinen Offizier gestellt. Er fragt seinen Hauptmann: „Sind wir nun Sieger oder Befreier?“ Der Hauptmann antwortet: „Halt lieber deinen Mund“. Der neugierige Soldat fragt aber weiter:
– „Es heißt doch in dem Lied – Es ist ein Volkskrieg, ein heiliger Krieg!“

– „Richtig!“

–  „Und hier ist es kein Volkskrieg, kein heiliger Krieg?“

– „Du sollst aber die „Geister“ nicht mit dem Volk verwechseln!“

Es ist ein Gespräch über das Wesen eines gerechten Krieges in der sowjetischen Interpretation. In der sowjetischen Vorstellung konnte man ein Volk grundsätzlich nicht besiegen. Das Volk konnte folglich nur von einem System der Unterdrückung befreit werden und auf diese Weise wahrhaft siegen. Doch in den afghanischen Verhältnissen ist die Armee mit einem Dilemma konfrontiert. Sie ist ihrer Herkunft nach eine Volksarmee. Für sie ist das die Quelle ihrer Überlegenheit gegenüber den anderen Armeen der Welt. Sie glaubt prinzipiell unbesiegbar zu sein, da sie sich stets auf der gerechten Seite, auf der Seite des Volkes befindet. In Afghanistan allerdings beginnt dieser Soldat zu begreifen, dass die Vorstellung und die Realität nicht übereinstimmen. Der Soldat zitiert aus der Hymne des Großen Vaterländischen Krieges. Hatten die Sowjets damals gegen die Deutschen nicht einen „Dschihad“ – den heiligen Krieg, wie die Afghanen gegen die Sowjets? Sein Offizier will es nicht wahrhaben, sondern macht eine klassische Trennung zwischen Herrschaftssystem und Volk. Man kämpft folglich nicht gegen das afghanische Volk, sondern gegen die Islamisten. Er gibt dem Soldaten die offizielle Erklärung des Einsatzes in Afghanistan wieder.

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Allerdings wusste die oberste Führung der UdSSR noch vor dem Beginn des Afghanistan-Krieges das, was der Soldat im Film am Ende des Krieges begreifen wird. Sie hatte von Anfang an eine realistische Einschätzung dessen, was passieren würde, wenn die Armee nach Afghanistan geht.

Es ist bis heute ein Rätsel, wie es zu der Entscheidung für den Einmarsch der Armee in Afghanistan kam. Noch ein halbes Jahr vor der Invasion war die oberste politische Führung der Sowjetunion gegen den Armeeeinsatz. 1979 beobachte Moskau besorgt und aufmerksam die Ereignisse am Hindukusch. In mehreren Regionen dieses Landes hat es islamistische Aufstände gegeben. Die afghanische Regierung war nicht in der Lage das Land zu kontrollieren und bat die UdSSR um militärische Hilfe. Einige Aussagen der Mitglieder der Afghanistan-Kommission verdeutlichen den Standpunkt:

Gromyko, Außenminister der Sowjetunion: „ Ich unterstütze vollständig den Vorschlag des Genossen Andropow, die Möglichkeit der Entsendung unserer Streitkräfte nach Afghanistan auszuschließen. Die afghanische Armee ist nicht zuverlässig. Das heißt, wenn unsere Armee nach Afghanistan geht, wird es ein Akt der Aggression sein. Gegen wen werden wir dann kämpfen? Ja, in erster Linie gegen das afghanische Volk und man wird gezwungen sein, auf das Volk zu schießen.“

Kosygin, Ministerpräsident der Sowjetunion: „ Vielleicht sollte man ihn (Taraki) zu uns einladen und ihm sagen, dass wir die Hilfe erhöhen werden, aber keine Streitkräfte entsenden können, weil sie dann nicht gegen eine Armee, die eigentlich auf die andere Seite übergelaufen ist, oder sich versteckt und abwartet, sondern gegen das Volk kämpfen müsste.“

Tschernenko, Sekretär des Zentralkomitees: „ Wenn wir die Streitkräfte schicken und das afghanische Volk schlagen, dann wird man uns der Aggression beschuldigen.“

Andropow,Vorsitzender des Komitees für Staatssicherheit, KGB: „Streitkräfte entsenden bedeutet, gegen das Volk kämpfen, das Volk unterdrücken und auf das Volk schießen. Wir werden wie Aggressoren aussehen und das dürfen wir nicht zulassen.“

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Wie man sieht, war sich die oberste politische Führung der UdSSR über den Ablauf und die Folgen des Krieges in Afghanistan bewusst. Den eigenen Soldaten und Offizieren musste aber eine Rechtfertigung gegeben werden. Man erzählte die Geschichte von „der internationalen Pflicht“ . Der Begriff „Internationale Pflicht“ war ein Teil des Konzeptes der sowjetischen Außenpolitik. Im Falle einer aktiven Befreiungsbewegung in einem Land sah man sich legitimiert, dem Volk dieses Landes in ihrem Befreiungskampf gegen die Unterdrückung und einer Invasion von Außen zu helfen. Es ist ein durchaus edler Beweggrund mit dem viele Menschen motiviert werden können.

In seinem Roman über den Krieg in Afghanistan „ Tod auf Raten“, schreibt Sergej Skrinik über diese „Pflicht“ in der afghanischen Realität Folgendes:

„Es ist wohl eine Laune der Geschichte, dass die beiden Nachbarvölker von einander sowohl im Geiste als auch in den Fragen der Moral, Kultur und Religion so weit entfernt waren, dass es überhaupt nicht in den Sinn kommen konnte, dass es zwischen den beiden etwas Gemeinsames gibt. Das bedeutet, dass es auch keine internationale Pflicht, sowohl gegenüber dem afghanischen Staat als auch gegenüber dem Volk dieses Landes geben konnte. Aber weil das Vorhandensein dieser Pflicht von den höchsten Stellen der Staatsmacht verkündet war, hatte die riesige Mehrheit des sowjetischen Volkes, stets an das langjährige Gehorsam gegenüber der Obrigkeit gewohnt, das Ganze als eine von oben kommende Offenbarung wahrgenommen.“

Das Verhältnis zwischen den Afghanen und den sowjetischen Soldaten war in der ersten Zeit nach dem Einmarsch nicht unbedingt schlecht. In seinen Erinnerungen über den Krieg in Afghanistan beschreibt Generaloberst Boris Gromow eine negative Entwicklung: „Die Soldaten erklärten wo sie nur konnten, dass sie nach Afghanistan nicht gekommen sind, um gegen das Volk zu kämpfen. Als klar wurde, dass wir länger bleiben werden, hatte sich das Verhältnis verschlechtert.“

Sergej Skrypnik fasst in seinem Roman den Wechsel in der Stimmung und seine Folgen zusammen:

„Die gegenseitige Erbitterung vergrößerte sich lawinenartig und wurde zu einem Gefühl des Hasses. Man hörte immer wieder die Frage : „Was wollt ihr in unserem Land?“ Kaum einer konnte sagen, dass die sowjetischen Streitkräfte in das Land von Amin, nach einer beinahe zwanzigmaligen Aufforderung gebeten worden sind. Aber kaum einer von den sowjetischen Offizieren und Soldaten wusste, dachte auch nicht einmal daran, dass Amin nicht die Interessen des afghanischen Volkes, sondern seine und seines Klans vertreten hat. Es begann ein unkontrollierbarer Krieg. Und dann kam es zu einer Kettenreaktion des entfachten Krieges mit seinen ewigen Regeln – Blut wird mit Blut, Tod wird mit Tod vergolten.“

Auch der Leutnant Kniasev in dem Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“ hat seine Zweifeln. Er redet darüber mit seinem Kollegen:

– Meine Soldaten fragen mich, warum wir hier sind.

– Um gesund zu werden.
– Hör mit dieser Angeberei auf. Ich sage den Soldaten, es ist die „internationale Pflicht“. Aber das ist doch keine Antwort.
– Meine Antwort ist einfach. Wir sind Soldaten und wir folgen dem Befehl. Das ist alles.
– Das ist auch keine Antwort, Hauptmann!

Man kann diese Haltung des Hauptmanns als nihilistisch bezeichnen. Doch seine Antwort – „um gesund zu werden“ kann auch als ein Hinweis auf die Zustände in der Armee verstanden werden. Die sowjetische Armee hatte schon in den 70er Jahren Problemsymptome gehabt. Sie ist schwerfällig und träge geworden. In Afghanistan wurde sie in einen Krieg verwickelt, in dem sie wieder denken musste, um Überleben zu können.

Der letzte Kommandierende der sowjetischen Armee in Afghanistan, Generaloberst Boris Gromow, schreibt in seinen Erinnerungen dazu:

„ Alle unsere Offiziere in Afghanistan hatten einen sehr hohen Stand der theoretischen Ausbildung. Das ist zwar nicht unwichtig, doch nicht entscheidend. Das Wichtigste ist die praktische Erfahrung über die ein Offizier verfügt. In dieser Hinsicht fand in der Anfangszeit unserer Anwesenheit in Afghanistan das Sammeln von echten Kampferfahrungen durch das Offizierskorps statt . Diese Erfahrungsbildung fiel uns schwer. Die Einsätze hatten den deutlichen Charakter eines Partisanenkrieges gegen kleine Gruppen von Aufständischen. Einen offenen Kampf zwischen den beiden Seiten hat es nicht gegeben. Es gab keine Frontlinie im eigentlichen Wortsinn.“
Doch die Genesung durch den Kampfeinsatz hat seine Grenzen, zumal die Armee mit einem grundsätzlichen Problem konfrontiert wird und das auch begreifen kann. Es wird durch den ehemaligen Chef des sowjetischen Generalstabes, Marschall Achromejew präzise dargestellt:

„Die Armee bekam eine ungerechte und irreale Aufgabe: Mit militärischen Mitteln das 17 Millionen Volk zu zwingen, einer unpopulären Regierung zu gehorchen. Eine Aufgabe, die grundsätzlich nicht erfüllt werden konnte.“

Dass die sowjetische Armee ihre Aufgabe grundsätzlich nicht erfüllen konnte, hatte ihre Vorgehensweise in Afghanistan bestimmt. Alle propagierten Ziele, ob es die „internationale Pflicht“, die Bekämpfung von Islamisten, Befreiung von Frauen waren, wurden durch ein einfaches Ziel verdrängt und ersetzt. Die Logik dieses Prozesses beschreibt Oleg Sebastian in seinem Buch „Unprofessionell“:

„Dieser Krieg diente nicht der Lösung einer einfachen Aufgabe und deswegen hatte die Militärmaschine aus allen möglichen Zielen das einfachste Ziel gefunden – die Selbsterhaltung. Ihre Teile wurden ständig ersetzt, sie wurde neu reguliert, sie knirschte, lieferte verkehrte Resultate, aber sie schlug erbarmungslos im Falle einer Existenzbedrohung zu. Und das Ergebnis ihrer Arbeit war nur Blut. Hinter der Vielfalt verschiedener Anordnungen versteckte sich Verwirrung von denjenigen, die sie erteilten. Man hatte die Kraft ihrer Einfachheit begriffen und gefürchtet – die Militärmaschine vernichtet und mehr nicht.“

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Es gibt in dem Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“ eine bildliche Darstellung dieser Vorstellung. Als die Wagenkolonne der Armee von den Aufständischen angegriffen wird, schlägt Hauptmann Iwaschenko zurück. Er verfolgt die Modschahedins in das Dorf und zerstört mit seinem Schützenpanzer mehrere Häuser. Es ist in dieser Hinsicht kein Widerspruch zu seiner Aussage während der Einsatzbesprechung im Stab – „Ich habe dieses Land nicht angefasst“. Er ist kein durchgeknallter Irrsinniger. Sein Zerstörungswerk in dem Dorf begründet sich in der maschinellen Logik des Armeeeinsatzes. Um an dem Dorf sicher vorbeizukommen, muss es zerstört werden.

Auf der anderen Seite kennt die Armee auch Grenzen. Während der Fahrt zum Einsatzziel sagt zum Beispiel einer der Soldaten, dass man in Afghanistan nach dem Prinzip der „verbrannten Erde hätte agieren müssen.“ Als er später zwei Aufständische töten muss, bezeichnet er das als eine schwere Sünde. Der Leutnant fragt den Soldaten, dass er doch noch vor kurzem die Taktik der „verbrannten Erde“ propagiert hat. Worauf der Soldat antwortet: „Das war doch nur Theorie“. Was der Soldat durch eine eigene Erfahrung begreift, ist längst das Einsatzprinzip der Armee – Töten bei Bedrohung.

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Es geht in dem Film auch um die Aufklärung eines Irrtums, dass die sowjetische Armee in Afghanistan nur die afghanische Armee absicherte. Es hat auch die Hoffnung gegeben, eine afghanische Armee mit sowjetischer Hilfe schnell aufzubauen und ihr die Last des Krieges gegen die Islamisten zu übertragen.
Die Gruppe von Kniasev wird von zwei Offizieren der afghanischen Armee begleitet. Dass man ihnen nicht traut, wird sichtbar, weil sie an der Stabsbesprechung nicht teilnehmen dürfen und zum Schluss nur eine kurze Anweisung erhalten. Der junge Afghane zweifelt ob er sich in diesem Krieg auf der richtigen Seite befindet. Der ältere afghanische Offizier findet später in einem Dorf seinen sterbenden Bruder. Er hatte auf der Seite der Aufständischen gekämpft und bietet nun in seinen letzten Worten den älteren Bruder, sich dem Widerstand anzuschließen. Der Offizier kämpft aber weiter und wird am Ende des Films durch den jüngeren afghanischen Offizier heimtückisch getötet. Durch den Schuss des Afghanen wird die Gruppe von Leutnant Kniasev verraten.

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Generaloberst Boris Gromow schreibt in seinen Erinnerungen, dass man mit dem Verrat der afghanischen Armee „bei jedem Schritt und Tritt zu tun hatte.“ Die afghanische Regierung konnte sich in Wirklichkeit nur mit Hilfe der sowjetischen Armee an der Macht halten. Sie konnte sich auf ihre eigene Armee kaum verlassen. Es war den Soldaten und Offizieren der afghanischen Armee klar, dass sie gegen das eigene Volk kämpfen müssen. Um so größer war ihre Befürchtung, nach dem Abzug der sowjetischen Armee dafür bestraft zu werden.

„Sehr oft zum Beispiel, in den Fällen, als die afghanische Armee mit eigenen Kräften gegen die Aufständischen kämpfen musste, haben die Offiziere der afghanischen Armee ihre Bereitschaft jeden Auftrag zu erledigen stets bekundet. In Wirklichkeit taten sie immer das Gegenteil. Der schwache Kampfgeist und ihr mangelhafter Professionalismus waren die kennzeichnenden Merkmale der afghanischen Streitkräfte.“

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Am Ende des Films sieht man die Originalaufnahmen wie die sowjetischen Einheiten die sowjetisch-afghanische Grenze überqueren. Man sieht auch wie der Generaloberst Boris Gromow, der letzte Kommandierende der 40.Armee seinen Sohn umarmt. In seinen Erinnerungen schreibt er:

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„Sowjetische Bürger hatten diesen Krieg nie begrüßt. Die Gründe für den Einmarsch unserer Armee in Afghanistan wurden durch unsere Staatsführung nicht vernünftig erklärt und konnten eigentlich gar nicht erklärt werden. Die menschlichen Verluste (etwa 15.000 Tote und 36.000 Verwundete) wurden nicht als unvermeidlich oder als notwendig empfunden. Das Gefühl der Bitterkeit, der Empörung und Kränkung, die unsere Menschen gegenüber der eigenen Führung, die unser Land in diesen sinnlosen Krieg geschickt haben, waren gerecht und begründet.“

Wenn Krieg die Forstsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so war der Afghanistan- Krieg die Fortsetzung einer falschen Politik. Der Film „Zwei Schritte von der Stille entfernt“ gibt eine nüchterne Darstellung des Afghanistan-Krieges aus der Sicht der sowjetischen Armee. Es gibt in dem Film keine Darstellung von Heldentaten, keine großen Kampfszenen oder Schlachten. Nur „Zwischenfälle“ und kleine Gefechte. Soldaten sterben in dem Film unspektakulär. Den einen findet man mit dem Messer im Rücken an einem Zaun hängend, der andere tritt auf eine Mine. Es ist ein klassischer Partisanenkrieg, den die Armee nie gewollt hat und sich auch nie darüber täuschte, ihn gewinnen zu können.

Ende

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  • Keine
  • peacock: Der Film ist ist wenigstens nicht so blöde wie Rammbock 1,2,3,4, viele. Wer genaue Geschichtsdarstellung sucht, ist bei einem Spielfilm immer falsch.
  • gregorhecker: Es gibt eine Behauptung, dass das Bild nicht 1942, sondern etwa 1939 während einer Übung gemacht wurde. Das wird in der russischen Wikipedia erwähn
  • Horst Heuer: Wie ist die Behauptung gemeint,das es sich bei dem Bild " Kombat " von Max Alpers um eine Fälschung handeln kann? Ich habe Erkenntnisse, das es sich

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