über die Grenze

Über die russisch-amerikanischen Beziehungen – April/Mai

Posted on: Mai 14, 2009

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Das Treffen zwischen den Präsidenten Medwedew und Obama beim G20 Gipfel in London kennzeichnet den Beginn des russisch-amerikanischen Dialoges über die Art und Weise, wie beide Seiten ihre Beziehungen zueinander vorstellen und aufbauen werden. Die amerikanische Regierung unter der Führung von Barack Obama gibt der russischen Seite einen Grund zur kleinen Hoffnung, dass man miteinander kommunizieren kann. Mit der Regierung von George W. Bush war das nicht mehr möglich. So stellt der russische Professor an der MGIMO (Moskauer Staatliches Institut für Internationale Beziehungen) Wladimir Degoew Folgendes fest:

„Die Krise des gegenseitigen Nicht-Verstehen-Könnens ist gefährlich, weil sie hauptsächlich eine Vertrauenskrise ist. Es mag überraschen, aber sie findet nicht in einem Steinzeitalter statt, als alles, was sich außerhalb der Grenzen der Siedlung befand, automatisch jenseits der Grenzen der Zuneigung, des Mitleids und der Toleranz lag, sondern in einem Jahrhundert mit phantastischen Kommunikationsmöglichkeiten.“

Ein Zustand, der laut Anatolij Torkunow, dem Rektor von MGIMO, in Moskau als auch in Washington mit Beunruhigung wahrgenommen wird:

„Viel zu viel haben Russland und die USA in den vergangenen 20 Jahren für die Verbesserung ihrer gegenseitigen Beziehungen getan, um diesen Verlust nicht zu bedauern.“

Nun stellt aber der russische Außenminister Sergej Lawrov die Bereitschaft der amerikanischen Seite „zuzuhören“ fest. Mit Obamas Vorgänger war es laut Lawrov anders:

„Sie ( amerikanische Führung) bevorzugte Entscheidungen alleine zu treffen und dann die anderen vor Tatsachen zu stellen. So kam es eigentlich zu dem Problem der Raketenabwehr. Sogar die engen Verbündeten Washingtons haben von der Idee postfaktum erfahren.“

Dieser Zustand und der Wunsch zur Überwindung, fand eine symbolische Entsprechung. Beim Treffen der Außenminister beider Staaten haben die Amerikaner den Russen eine zusammengebastelte Reset-Taste überreicht, deren Betätigung, wie bei einem Rechner, der nicht mehr richtig funktioniert, neustartet.

Wie kam es aber zu dieser Störung?

Die aufgetretene Fehlfunktion wird auf der russischen Seite verschieden interpretiert. Der russische Politiker Wladimir Milow sieht die Ursache dieser Fehlfunktion folgendermaßen:

„Das Problem ist, dass wenn man den Rechner nicht reinigt und alle Viren, die er hat, nicht entfernt, es keinen Sinn macht, den Computer neu zu starten.Es wird weiterhin Störungen geben. Und die russische Außenpolitik ist leider durch einen Haufen von gefährlichen Viren befallen, die den Aufbau von normalen, konstruktiven Beziehungen mit anderen Staaten verhindern. Die schlimmsten dieser Viren sind – Unfähigkeit des strategischen Denkens, imperiale Ambitionen im Geiste des XIX Jahrhunderts, Gier und Zynismus, Falschheit, die Missachtung von Interessen der Bürger des eigenen Landes und der Nachbarn, Psychologie der Freibeuterei.

Milow zufolge wurde der amerikanische Präsident Bush beim tiefen Hineinschauen in die Augen von Putin von diesen Viren befallen. Das Ergebnis war, dass

„Amerika in unzähligen Versuchen verwickelt wurde, mit Putins Russland pragmatische Beziehungen aufzubauen, die zu keinem Erfolg führen konnten“.

Ähnlich sieht es Wladimir Degoew und meint, dass es dabei um mehr gehe als um eine einfache Fehlfunktion. Doch ist auch die amerikanische Seite verpflichtet, bei der Grundsanierung der russisch-amerikanischen Beziehungen, die von beiden Seiten fundamentale Veränderungen abverlangt, mitzumachen. Und da liegt für ihn der Kern des Problems:

„Davon wollen die Amerikaner nichts hören. Eine solche Betrachtung des Problems nehmen sie als eine völlige Kapitulation des Westens und eine Grundrevision von Resultaten des Kalten Krieges wahr… … Das Dramatische dabei ist, dass die USA nicht bereit sind, „dreiste“ Fragen im konstruktiven Geiste zu beantworten. Aus der Sicht Washingtons ist es eine klassische Manifestation des Absurden, Ungerechten und Taktlosen. Russland muss so sein, wie es die USA sich wünschen und nicht so sein, wie es selbst wünscht. Sein Drang, sich selbst in der Welt zu finden, ohne sich das eigene historische Wesen und Gedächtnis zu verweigern, wird als ein Verbrechen gegen den Westen und die gesamte Menschheit verstanden.“

Für Fedor Lukjanov, dem Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“, wird der russisch-amerikanische Dialog durch ein gemeinsames Problem behindert. Es liegt an der Asymmetrie der Beziehungen. Die USA sind für Russland wichtiger als es umgekehrt der Fall ist. Und daran kann man nichts ändern, da die Bedeutung beider Mächte ungleich ist. Dazu kommt, dass:

diese objektive Asymmetrie noch durch eine subjektive Asymmetrie belastet wird. Washington hat sich in den letzten zwanzig Jahren daran gewöhnt, die Bedeutung Russlands kleiner wahrzunehmen als sie tatsächlich ist. Moskau dagegen neigt dazu, die Rolle Washingtons zu überschätzen.“

Wie auch immer das Problem der Fehlfunktion verstanden wird, der Neustart des Dialogs ist eingeleitet worden. Im Vordergrund steht die Ausarbeitung des Textes für die Neufassung des Vertrages zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen. Die Grundlagen für den neuen Vertrag sollen bis zu Obamas Besuch in Moskau, im Juli, ausgearbeitet sein. Andere Themen betreffen die geplante Errichtung der amerikanischen Raketenabwehr in Mitteleuropa, das Nuklearprogramm von Iran, die Lage in Afghanistan und die Nato Erweiterung.

Viel zu tun. Insbesondere bei der Vorbereitung für das neue START-Abkommen, wie Professor Bogaturov in der Zeitung Kommersant meint:

„Es wurde beauftragt, den Vertrag innerhalb von drei Monaten zu fertigen und zu Obamas Besuch im Juli vorzulegen. Man kann sich vorstellen, dass Diplomaten und Militärs auf beiden Seiten diesbezüglich von der Begeisterung (denn man will wieder an die Rüstungskontrolle denken) und vom Horror ergriffen wurden: einen solchen gewaltigen Text, mit all den Details der Kontrollprozeduren vorzubereiten – ist eine schrecklich schwierige und komplizierte Aufgabe. Sowohl wir, als auch die Amerikaner sind es nicht mehr gewohnt, in einem solchen Tempo zu arbeiten. Allerdings ist es nicht verkehrt, sich wieder daran zu erinnern – vielleicht ist es ernst gemeint und die Normalisierung beginnt? „

Eine Einigung über die Reduzierung von strategischen Nuklearwaffen ist nach Einschätzung von Fedor Lukjanow durchaus möglich und hat sogar etwas Positives für Russland:

„Die Etappenweise Reduzierung ist für alle von Vorteil. Sie erlaubt den unnötigen Überbestand zu beseitigen und einen institutionalisierten Dialog samt der Annahme von Verpflichtung, die es zwischen den beiden Staaten lange nicht mehr gab, in die Wege zu leiten. Die Verhandlungen über die Verringerung von strategischen Nuklearwaffen ist der einzige Bereich, wo beide Seite gleichberechtigt sind. Es ist für Moskau ein wichtiger psychologischer Faktor. “

Doch die Sache hat einen Haken, wie Professor Torkunov erklärt:

„Unter dem Deckmantel einer konstruktiven Idee schlagen die Amerikaner uns vor, ihre militärische Überlegenheit zu fixieren und die letzten Reste der früheren strategischen Parität – im Grunde genommen die einzige Garantie unserer militärisch-strategischen Sicherheit – aufzugeben. Und das alles, ohne die Verknüpfung mit der Verringerung der taktischen Massenvernichtungswaffen, konventioneller Streitkräfte, „der geographischen Angriffsbewaffnung“ in Form von Nato-Stützpunkten.

Diese Meinung wird von Professor Bogaturov geteilt und bestätigt:

„Es ist nicht zu übersehen: der außenpolitischen und militärischen Praxis der USA in den vergangenen 10 Jahren entspricht exakt die Logik des präventiven Handelns und Angriffs, die dem Ziel folgen, den Opponenten zu entwaffnen und ihm die Fähigkeit einen adäquaten Widerstand zu leisten, zu nehmen. Der Umgang mit Russland stellt dabei keine Ausnahme dar… … Es ist die Taktik der Entwicklung von Beziehungen mit der gleichzeitigen Verringerung der Gefahr eines zufälligen großen Krieges.“

Es zeigt sich somit die Schnittstelle des Problems. Was für die USA ein Problem der globalen Sicherheit ist, ist für die russische Seite ein existenzielles Problem ihrer Sicherheit geworden. Wie Wladimir Degoew meint:

„Dabei können die Amerikaner das „veraltete“, „primitive“ und „unprofessionelle“ Argument, dass Ukraine, Transkaukasus und Zentralasien nicht aus der Sphäre russischer Sicherheitsinteressen herausgenommen werden können, egal wie oft die Russen über die friedfertigen Absichten der östlichen Nato-Demokratien aufgeklärt werden, nicht ausstehen. Und wir unsererseits werden nie die metaphysische Tiefe der Logik verstehen, der entsprechend die Linie der Verteidigung amerikanischer Werte entlang unserer Grenzen mit den Nachbarstaaten der ehemaligen UdSSR verlaufen soll. „

Die START-Verhandlungen sind also mehr als Verhandlungen über die Zahl der nuklearen Sprengkörper. Es ist an der Zeit, mit den Amerikanern eine Aussprache zu halten, wie Degoew sagt: „nicht wie die Cowboys, mit Revolvern bewaffnet, sondern zivilisiert, indem man einander in die Augen schaut.“

Auch auf der amerikanischen Seite soll es diese Bereitschaft zu einem ernst gemeinten Dialog geben. Anatalolij Torkunov erwähnt einen Bericht der amerikanischen Russland-Spezialisten, in dem der Regierung geraten wird, die Beziehungen zu Russland zu verbessern. Die Vorschläge betreffen die Verbesserung der Atmosphäre des Umgangs beider Seiten miteinander, indem es wieder freundschaftlich und respektvoll zugehen soll. Beachtet werden soll der Umstand, dass mittlerweile nicht nur im Lager der russischen Linken als auch äußeren Rechten, sondern im Zentrum und sogar auch unter den moderaten Liberalen Misstrauen gegenüber amerikanischer Politik sich verbreitet hat. Über diese Stimmungen berichtet Michael Gorbatschow im Interview der „Rossijskaja Gazeta“. Er beschreibt seine Erfahrung aus der Zeit der Verhandlungen mit den Amerikanern und die Begeisterung für Amerika:

„Wir hatten eine zeitlang Ergebnisse von Befragungen, die darstellten, dass es nicht einfach eine Begeisterung bei den Russen für Amerika, sondern eine regelrechte Euphorie gab. Aber als die westlichen Staaten, darunter Amerika, von dem „Siegerkomplex“ ergriffen worden waren und als es zu dem Gerede kam, dass man Russland nicht mehr brauche, kam es zu einer tiefen Enttäuschung auf unserer Seite. Diese zu überwinden, wird nicht einfach sein.“

Anatolij Torkunov bestätigt die Aussagen von Gorbatschow:

Die Diplomatie der Perestrojka-Zeit kannte keine Bitterkeit der Täuschung. Sie ist auch Diplomatie der „Durchbrüche“ geblieben, die später bezweifelt worden sind.Die heutige russische Diplomatie ist anders. Sie ist vom Geiste der Enttäuschung der 90er durchtränkt, Natoisierung Osteuropas und des Schwarzen Meeres, der Balkankriege, der Sprengungen der Beziehungen mit der Ukraine und als einen Höhepunkt – die militärische Destabilisierung an den russischen Grenzen in Kaukasus.“

Diese Stimmungen der Enttäuschungen müssen nun laut Forderungen amerikanischer Russland-Fachleute neutralisiert werden. Wesentlich ist auch die Forderung, dass die USA aufhören sollen zu denken, dass man entlang der russischen Grenzen amerikanische Einflusssphäre schafft und gleichzeitig Moskau zu einem konstruktiven Dialog auffordert. Außerdem sind Amerikas Interessen nicht mit den Interessen russischer Nachbarstaaten identisch.
Doch der MGIMO-Rektor weist auf den Unterschied zwischen den Experten-Meinungen und den Regierungstaten hin:

„Das Leitmotiv von Überlegungen der Fachleute ist die Empfehlung, von den Versuchen, russische Interessen zu ignorieren, Abstand zu nehmen. Das Leitmotiv amerikanischer Handlungen ist die Konzentration auf die Wiederherstellung einer absoluten strategischen Sicherheit Amerikas.“

Prognosen über den Verlauf des amerikanischen Dialogs sind also aufgrund von Erfahrungen aus den vergangen Jahrzehnten schwierig. Da ist die Hoffnung auf einen Durchbruch und die Erfahrung des Scheiterns, die die russische Seite zwingt, neu zu denken.

Wir brauchen Klarheit. Russland will ein stabiles und freundschaftliches Verhältnis in den Beziehungen zu den USA. Doch ist es kein Selbstzweck der russischen Außenpolitik, sondern ein wichtiges Instrument für die Bildung einer sicheren und friedlichen Welt. Diesem Weg wird Russland sowieso folgen – nach Möglichkeiten in einer Partnerschaft mit den USA, doch wenn es notwendig wird, dann auch völlig selbstständig. „

Auch Fedor Lukjanov, Chefredakteur der Zeitschrift „Russland in der globalen Politik“ kann schwer sagen, wie die USA und Russland einander im XXI Jahrhundert wahrnehmen werden. Noch sind die beiden Seiten in den Reflexen der Zeit des Kalten Krieges und der Zeit nach ihrem Ende. Allerdings werden die kommenden globalen Veränderungen sie dazu bringen, einen anderen Blickwinkel zu suchen.

Die russische Übermacht und die amerikanische Hegemonie gehören der Vergangenheit an. Weder das eine, noch das andere Land haben das gänzlich begriffen. Doch diese Klarheit des Blickes wird unausweichlich kommen und dann, wird es wahrscheinlich einen neuen Blickwinkel geben, der es Russland und den USA erlauben wird, einander anders zu sehen.

Die Zeit wird es zeigen.

Ende.

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  • peacock: Der Film ist ist wenigstens nicht so blöde wie Rammbock 1,2,3,4, viele. Wer genaue Geschichtsdarstellung sucht, ist bei einem Spielfilm immer falsch.
  • gregorhecker: Es gibt eine Behauptung, dass das Bild nicht 1942, sondern etwa 1939 während einer Übung gemacht wurde. Das wird in der russischen Wikipedia erwähn
  • Horst Heuer: Wie ist die Behauptung gemeint,das es sich bei dem Bild " Kombat " von Max Alpers um eine Fälschung handeln kann? Ich habe Erkenntnisse, das es sich

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